Der Sieg der Liebe über die Angst
Juni 2025

Meine Frau und ich nahmen die Möglichkeit der Pränataldiagnostik eigentlich mit der Erwartung in Anspruch, dass wir uns danach beruhigt auf die Geburt unseres Kindes freuen können. Meine Freude war unbeschreiblich, als ich während der Untersuchung die Bewegungen unseres Kindes sehen und seinen Herzschlag hören konnte. Ich habe dieses kleine Wesen sofort ins Herz geschlossen und mich als sein Vater gefühlt. Die Freude wich jedoch Bestürzung und Angst, als eine auffällige Nackenfaltendicke fest-gestellt wurde. Die bald darauf folgende definitive Diagnose einer Trisomie 21 nach einer Plazenta-Punktion stürzte mich in eine sehr schwere psychische Krise: Trauer, dass unser Kind nicht «normal» sein würde, mischte sich mit Kränkung und Neid, durchdrungen von der (wie ich heute verstanden habe sinnlosen) Frage, wie es sein kann, dass ausgerechnet wir/ich/unser Kind diesen Schicksalsschlag erleiden und ertragen müssen. Die Zukunft verfinsterte sich zu einem dunklen Nebel, ich konnte mir kaum vorstellen, den Mut und die Kraft aufzubringen, die es wohl brauchen würde, ein beeinträchtigtes Kind grosszuziehen. Die von den Ärzten aufgezeigte «Lösung» eines «Schwangerschaftsabbruches» erschien daher in den dunkelsten Momenten wie ein «Ausweg». Als ich jedoch realisierte, dass dies bedeuten würde, den kleinen Menschen im Bauch meiner Frau zu töten, nur damit wir vermeintlich weiterhin ein unbeschwertes Leben führen können, wurde mir übel. Und ich wusste auch, dass ich in diesem Fall niemals wieder mit Selbstachtung in den Spiegel würde schauen können.
Somit erlebte ich die Situation als ausweglos und unerträglich, denn weder die Elternschaft noch eine Abtreibung schienen mir gangbar. Vor allem zwei Dinge waren in dieser Zeit jedoch «rettend»: Zum einen spürte ich bei meiner Frau, obwohl sie innerlich ähnlich von Ängsten und Zweifeln geplagt war, eine starke und «sichere» Liebe zu unserem Kind. Diese Liebe gab mir die Zuversicht, dass wir «das schaffen», egal wie schwierig es wird. Zum anderen führten Kontakte zu Familien mit Kindern mit Trisomie 21 zu einem differenzierteren, optimistischeren Bild vom Leben mit dieser Besonderheit. Vor allem sah ich, dass Menschen mit Beeinträchtigungen (wie Trisomie 21) sehr wohl ein lebenswertes Leben führen können. Dies möchte ich allen Eltern ans Herz legen, die ein Kind mit irgendeiner Besonderheit erwarten.
Es gelang mir über die weitere Schwangerschaft immer besser, die Diagnose zu akzeptieren und mich auf die Geburt unseres Kindes, welches sodann auch bald einen Namen bekommen hat, vorzubereiten und – vor allem – von ganzem Herzen zu freuen. Nils ist für meine Frau und mich der Sieg der Liebe über die Angst.
Nun könnte ich hier noch viele Seiten über unseren Sohn, die schon gemeisterten gemeinsamen Herausforderungen und unser Leben als Familie schreiben, aber dies ist ja nicht Inhalt dieses Beitrages 🙂 Nur so viel: Er ist für mich das wundervollste Kind, das ich mir hätte wünschen können.
Gunnar Vogt
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