Von der Diagnose bis heute: Der Grosspapi berichtet
3. September 2021
Mit grosser Freude berichtete mir meine Tochter Tamara, dass sie schwanger sei und wir freuten uns zusammen riesig. Einige Zeit später kam sie jedoch total aufgewühlt zu mir, mit der Nachricht, dass wohl etwas nicht stimme und nun weitere Untersuchungen erfolgen würden. Diese Untersuchungen bestätigten den Verdacht: Bei dem Kindlein wurde Trisomie 21 und ein schwerer Herzfehler festgestellt. Diese Nachricht war für die gesamte Familie zuerst ein grosser Schock. Ich zog mich mit meiner Not etwas zurück und sprach im Gebet mit Gott. Er antwortete mir, dass ich mir keine Sorgen machen müsse.
Tamara informierte sich im Internet und wollte alles wissen, was so auf sie zukommen würde und was sie bereits jetzt für ihr Kind tun kann. Sie arbeitete bei der Swisscom im Aussendienst und immer wieder sprachen die Kunden sie an und meinten: «dr sit schwanger – hauptsach ds Chind isch gsund». Dies war jedes Mal ein schwieriger Moment für meine Tochter und es hat ihr gezeigt, dass dieser Satz zwar gut gemeint ist, aber nicht stimmt. Denn auch ein Kind, das nicht „gesund“ ist, ist etwas, worauf man sich freuen kann. In unserer Familie haben wir immer viel geredet- ganz besonders am Tisch beim Essen. Aus diesem Grund sprach sie immer offen über die Diagnose, die sie für ihr Kind erhalten hatte. Etliche Kunden wurden tief berührt von Tamaras Entschlossenheit, das Kindlein zu behalten und von der Offenheit, wie sie sich mitteilte. Es gab sehr ermutigende Begegnungen, bei welchen Kunden ihr Herz öffneten und aus ihrem eigenen Leben und von ihrer Verwandtschaft berichteten. Sie wurde dadurch stark ermutigt.
Einmal begleitete ich sie in die Insel nach Bern. Ein Dreier-Team von Professoren klärte uns darüber auf, was nach der Geburt als erstes getan werden müsse. Diese nüchternen, herausfordernden und auch beängstigenden Worte – in aller Ruhe ausgesprochen – beschäftigten mich sehr. Plötzlich hörte ich die Stimme meiner Tamara «Ich möchte mein Kind zuerst in den Arm und an meine Brust nehmen.» Mir schossen Tränen in die Augen. All die herausfordernden Worte der Ärzte konnten ihre Liebe zu ihrem Kind nicht dämpfen. Ich staunte: Ist ja schon genial, wie Gott das Herz der Mütter auf wunderbarste Weise gestaltet hat. Ich verspürte eine tiefe Dankbarkeit und war sehr stolz auf meine Tochter – und bin es natürlich bis heute.
Auch ich war damals enorm körperlich herausgefordert. Als Missionsleiter war ich gerade beschäftigt mit dem grossen Umbau der alten Landi Thörigen zu einem Begegnungszentrum. Obwohl ich mich sicher fühlte, dass ich mich nicht sorgen müsse, kamen verschiedene Gedanken und Gefühle – unter anderem: schafft es meine Tochter unbeschadet da durchzukommen? Mein Mitempfinden liess mich in den Nächten nicht mehr so gut schlafen und schlug mir auf den Magen. Auch für Marc, den Papi, war die Schwangerschaft alles andere als einfach.
Der Tag der Geburt nahte – alles war bereit – ein wunderschönes Kinderzimmer und vieles mehr. Voller Freude packte Tamara ihre Tasche mit den ersten Kleidern für ihr Baby. Auf den Tag genau ein Jahr zuvor durfte ihre Schwester einen gesunden Buben gebären. Wir nahmen uns in die Arme und beteten miteinander. Sie verabschiedete sich von uns in freudiger Erwartung auf ihr Kind. Die Geburt war alles andere als einfach.
Dann kam der grosse Moment, ich durfte erstmals mein Grosskind in den Armen halten. Ein bildhübsches Mädchen – ich konnte mich kaum sattsehen, mir ging es wie den Eltern. Ich habe dieses wunderschöne Erlebnis in meinem Herzen sehr gut abgespeichert.
Aliyah bekam kurz nach der Geburt noch das RS-Virus und es folgte die erste Herzoperation. Es waren Wochen, in denen Tamara und Marc sich enorm sorgten und um ihr Kind bangten. Später folgten zwei weitere Herzoperationen. Praktisch rund um die Uhr wachten am Bett Mami und Papi. Es war eine Zeit, wo beide schier über das menschliche Mass hinaus gefordert waren. Doch es war die Liebe zu ihrem Kind, welche ihnen die notwendige Kraft gab.
Heute ist Aliyah vier Jahre und neun Monate alt – sie ist ein sehr liebes, wunderschönes und sehr interessantes Meiteli. Sie zieht mich mit ihrer fröhlichen und unbeschwerten Art in ihren Bann. Von ihren Zielen, die sie verfolgt, lässt sie sich nicht so einfach ablenken. Es gelingt ihr, mich in ihre Welt zu holen. Bei jedem Besuch und jedem Telefonat sehe und spüre ich etwas von dieser tiefen Dankbarkeit und Liebe beider Eltern zu Aliyah. Mit ihrer Geburt wurden beide Eltern und unsere Familie mitsamt der Verwandtschaft und darüber hinaus beschenkt. Aliyah ist enorm musikalisch, sehr dankbar und fröhlich.
Die Jahre der eigenen Kinder gehen bekanntlich viel zu schnell vorüber. Doch in Aliyah erkenne ich meine älteste Tochter Tamara wieder, sie verzaubert mich und ist eine Tankstelle für meine Seele. Sie liebt mich sehr – macht es mir aber auch nicht immer so einfach – sie will jedes Mal erobert werden.
Kürzlich habe ich ihrem Papi gesagt: „Gell, Kinder sind schon das Schönste, was man haben kann.“ Er bestätigte es mir und meinte: «Man weiss es erst, wenn man sie hat und nicht vorher». Vor acht Monaten hat Aliyah ihr Brüderchen Lionel erhalten. Sie ist diejenige, die ihn mit ihrer herzigen Art ebenfalls fasziniert. Die beiden haben ein wunderbares Verhältnis zueinander.
Ein Ja zum persönlichen Lebensweg ist entscheidend. Die herausfordernde Diagnose in der Schwangerschaft mündete in eine Wegstrecke, auf der wir alle sehr glücklich sind. Ich bin tief beeindruckt, in welchem liebevollen und ermutigenden Klima Aliyah aufwachsen und gedeihen darf. Die Liebe ist ein grosses Geheimnis – sie verleiht uns Flügel.
Zusammenfassend möchte ich mit folgenden Worten meinen Bericht beenden. Wir wurden mit Aliyah überrascht und enorm beschenkt. Wir sind alle enorm glücklich! Diese Familie zeigt eindrücklich, dass sie füreinander geschaffen wurden.
Meinen Dank möchte ich an Gott richten, an all die Ärzte, das Pflegepersonal und alle Institutionen, die eine echte Hilfe sind. Wir sind nicht allein, wir helfen und ermutigen uns gegenseitig.
Emanuel Lange, Pastor