«Wir wollen ein Wohnzimmer sein, in dem es für alle und jeden einen Platz hat.»
Juni 2024
Ich komme an einem sonnigen Donnerstag am frühen Nachmittag in Naters an und als ich ins Kaffee trete, werde ich von zwei wunderbaren jungen Frauen begrüsst. Annasofia und Riccarda, beide mit Down-Syndrom, sind gerade an der Theke. Im Kaffee geht es noch ruhig zu und her, es sind erst ein paar wenige Gäste da. Ich nehme Platz und bestelle einen Cappuccino. Bald schon kommen meine beiden Gesprächspartnerinnen dazu, Sara Imboden Reinke, die Gründerin der «Zuckerpuppa» und Regula Hüppi, die Geschäftsleiterin. Es entsteht ein wunderbares Gespräch über Chancen und Perspektiven von beeinträchtigen Menschen, über Mitmenschlichkeit, aber auch Geschäftssinn, Anpacken und Dranbleiben.
Woher kommt der Name «Zuckerpuppa»? Hat er eine bestimmte Bedeutung? Wer steht hinter dem Kaffee?
«Puppa» ist Walliserdeutsch und steht für Puppe. Saras erste Vorstellungen dazu waren, dass viele Menschen miteinander arbeiten, die alle farbig gekleidet sind. Es soll eine fröhliche und spielerische Atmosphäre entstehen, wie beim Spiel mit Puppen halt auch. Und der «Zucker» hat natürlich dazu gepasst, wegen des Kaffees, den Cupcakes und anderen Süssigkeiten.
Sara ist die Gründerin der «Zuckerpuppa». Das Logo habe schon lange zuvor bestanden und bei einem Gespräch mit ihrer Schwester war es auf einmal klar, dass das Kaffee «Zuckerpuppa» heissen solle, eigentlich ein bekannter Begriff, es gibt da z. B. das Lied von Bill Ramsey.
Sara erzählt vom Konzept und dass sie zuerst die verschiedenen Produkte ausprobieren wollte, denn was man verkaufen will, muss schliesslich fein sein. Sie hat verschiedene Kurse besucht und die verschiedenen Cupcakes ausprobiert. Bevor das Kaffee entstand, war sie an verschiedenen Märkten und Anlässen und hat dort die verschiedenen Kuchen und Cupcakes angeboten.
Warum sollte es ein Kaffee werden und wie lange gibt es das Kaffee bereits?
In einem Restaurant gibt es viele Kompetenzen zum Lernen. Man muss weiterdenken, abstrakt Denken können, Hygiene ist wichtig, der Kundenkontakt, der Einsatz von verschiedenen Sprachen, etc. Das gesamte Paket ist ein gutes Lernfeld für Menschen mit einer Beeinträchtigung. Die «Zuckerpuppa» gibt es nun bereits seit sieben Jahren und es konnten schon einige Lehrlinge begleitet werden.
Regula erklärt, dass sie ganzjährig als Geschäftsführerin arbeitet und dafür auch entlöhnt wird. Auch die Lernenden werden entlöhnt.
Sie sind aber sehr dankbar für die ganz vielen Frauen und Männer in ihrem Umfeld, die stundenweise ehrenamtlich aushelfen oder halbe Tage im Kaffee übernehmen können. Motivierte Menschen, die das Konzept «Zuckerpuppa» eine tolle Sache finden und dieses Kaffee darum unterstützen wollen. Eine wertvolle Geste ohne die es nicht funktionieren würde.
Durch Gespräche oder direktes Anfragen finde man Hilfe. Auch über die Internetseite «Bénévoles Valais» hätten sich schon Mitarbeiter gemeldet. Auch Personen aus dem näheren Umfeld der Angestellten helfen mit, manchmal ergeben sich ganz tolle Geschichten. Letztens erhielten sie im Bereich Buchhaltung Unterstützung, durch einen Aushang an der Eingangstüre.
Wie viele Ausbildungsplätze stellt die «Zuckerpuppa» zur Verfügung?
Die «Zuckerpuppa» stellt zwei Ausbildungsplätze zur Verfügung. Restaurationsfachfrau oder Restaurationsfachmann PrA (Praktische Ausbildung) nach INSOS heisst die Ausbildung. Ein schweizweit anerkanntes Ausbildungssystem, welches zwei Jahre dauert. Die Motivation der «Zuckerpuppa» ist es, für beide Ausbildungsjahre eine Lernende oder einen Lernenden mit an Bord zu haben.
Arbeiten die Lernenden Teilzeit oder Vollzeit? Wie verläuft die Ausbildung?
Die Idee ist, möglichst nahe am ersten Arbeitsmarkt zu sein. Ein möglichst «normaler Arbeitsalltag», damit die Auszubildenden lernen, was es bedeutet, das «Rucksäckli» zu füllen mit allem, was sie brauchen. Die Arbeitswoche setzt sich zusammen aus einem Tag Berufsschule und vier Tagen im Kaffee sowie zwei Ruhetagen. Auch von den Stunden her sind es ganz normale Arbeitstage. Die Berufsschule ist im selben Ort. Hier besteht eine Zusammenarbeit mit «MitMänsch Oberwallis» und die Lernenden können dort zum Fachunterricht, sowie auch zum allgemeinbildenden Unterricht, es gibt auch Sporthalbtage. Während des Jahres wird wöchentlich ein Thema besonders intensiv angeschaut, die Lernenden erhalten ein Lerntagebuch, dieses beinhaltet z. B. wie man einen Kaffee zubereitet, wie man das WC von A bis Z richtig reinigt, etc.
Das Ganze orientiert sich sehr nahe am EBA (Eidgenössisches Berufsattest) oder EFZ (Eidgenössisches Fähigkeitszeugnis). Mit dem kleinen Unterschied, dass am Schluss ein Fähigkeitszeugnis ausgestellt wird, welches auf den Kompetenzen des Lernenden beruht und ohne Noten auskommt. Es gibt eine Abschlussprüfung, eine abschliessende Einschätzung mit welcher die einzelnen Kompetenzen (Fach- sowie Sozialkompetenz) auf einer Skala dargestellt werden. Diese Einstufung des abschliessenden Lernenden, sowie auch ein Diplom und eine Abschlussfeier gehören dazu.
Habt ihr schon einen neuen Lernenden für das nächste Ausbildungsjahr und wie habt ihr diesen gefunden? Was sind die Voraussetzungen für eine Lehre in der «Zuckerpuppa»?
Ja, wir haben bereits einen neuen Lernenden. Es ist ein junger Mann mit Down-Syndrom. Er ist auf uns zugekommen und hat angefragt ob er ein Schnupperpraktikum absolvieren kann. Ziel hierzu ist es, vier bis fünf Tage zusammen zu arbeiten, einander kennenzulernen, damit man dann entscheiden kann ob es passt oder nicht. In diesem Fall hat es gut gepasst und wir freuen uns auf die künftige Zusammenarbeit!
Meistens sind die Lernenden bereits volljährig, wenn sie die Ausbildung starten. Bevorzugt wird auch das Beenden der Sonderabschlussklasse (SAK), ein Abschluss, welcher die Jugendlichen auf das Leben vorbereitet.
Eine gewisse Sozialkompetenz, Freude im Umgang mit den Kunden, Vorgesetzten und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie Freude an Essen und Trinken sind sicherlich gute Voraussetzungen für eine Ausbildung. Den Rest kann man lernen und Wissen kann man sich aneignen.
Was sind neben des Servierens die Aufgaben?
Reinigung des gesamten Kaffees, also den Boden staubsaugen, nass wischen, Stühle und Fenster gründlich putzen und die Toiletten reinigen. Die Lernenden kennen die aktuellen Angebote, wissen was auf der Karte steht und was an Getränken vorhanden ist. Sie kennen z. B. den Unterschied zwischen Kaffee und koffeinfreiem Kaffee, etc. Aber auch Blumen giessen, Geschirr reinigen, aufmerksam sein, wenn z. B. ein Kunde nachträglich noch etwas bestellen will, all das sind Aufgaben, die ein Lernender erledigen kann.
Was steht auf der Speisekarte? Ist das Hauptgeschäft die Kundschaft, die spontan vorbeikommt oder sind es eher Aufträge für Catering?
Es sind süsse Sachen aber auch salzige auf der Karte, z. B. Bagels. Die «Zuckerpuppa» darf länger je mehr auch Apéros vorbereiten für Geburtstage oder Firmenevents in einem überschaubaren Bereich von 30-40 Personen, was uns natürlich sehr freut. Aber auch kleinere Caterings im Restaurant werden immer zahlreicher, auch dort beispielsweise für Geburtstagsfeste oder auch mal eine Themengruppe, so gibt es z. B. einmal im Monat, das Kultur-Kaffee oder das Eltern-Kind-Kaffee. Das Kaffee bietet eine Plattform für alle Arten von Treffen. Die «Zuckerpuppa» soll grundsätzlich wie ein Wohnzimmer sein, es hat für alle und jeden einen Platz.
Ich bedanke mich für das Gespräch und nehme noch etwas Süsses mit nach Hause. Als ich das Kaffee verlasse, ist draussen und drinnen ziemlich viel los. Erwärmt durch das wundervolle Gespräch wünsche ich allen einen schönen Nachmittag, verlasse die zuckersüsse «Zuckerpuppa» und bin mir sicher, dass ich nicht das letzte Mal hier war.
Text/Interview: Manuela Monnier