Eine HopeFamily stellt sich vor
11. September 2021
Claudia und Patrick mit Emina, Luisa und Elion, erzählen im ausführlichen Interview über ihr Leben als Familie.
Liebe Claudia, lieber Patrick, wer gehört denn alles zu eurer Familie? Und wo seid ihr zuhause?
Wir sind Patrick (1973) und Claudia (1983) mit unseren drei Kindern Emina (2015), Luisa (2017) und Elion (2019 mit DS). Wir wohnen in einem gemieteten Einfamilienhaus in Schwanden, einem kleinen Dorf oberhalb des Thunersees, im Winter sind wir direkt neben dem Skilift und im Sommer direkt neben der Kuhweide.
Was macht ihr beruflich?
Patrick arbeitet zu 100 % als Finanzberater bei der Raiffeisenbank Steffisburg. Claudia arbeitet einen Tag die Woche als Assistenz der Kreditberatung bei der Raiffeisenbank in Thun. Den Mama-freien Tag verbringen die Kinder entweder bei einer Freundin, bei unserer ehemaligen Vermieterin oder mit dem Grosi.
Wie und wo verbringt ihr eure Freizeit?
Wir lieben es draussen zu sein und kleine Abenteuer mit unseren Kids zu erleben, wie z. B. ein Outdoor-Fondue oder Schlangenbrotbacken bei der Brätlistelle. Im Sommer gehen wir oft campen mit unserem Zeltklappanhänger oder verbringen Zeit in unserem Alphüttli. Orte, an denen es viele Leute hat, meiden wir so gut es geht. Deshalb baden unsere Kinder auch eher im Bach im Justistal als in einer Badi.
Unsere grosse Passion ist aber das Reisen. Und zwar möglichst auf unbekannten Pfaden und mit öffentlichen Verkehrsmitteln, damit wir viele Menschen und neue Kulturen kennenlernen. So haben wir mit den Kids bereits Albanien und Kosovo, Slowenien, diverse Stadtteile Genuas und die Nordsee entdeckt. Dieses Jahr steht Rumänien auf dem Reiseplan.
Als Elion sieben Wochen alt war, sind wir für drei Wochen mit einem Truckcamper durch Alaska und das Yukon-Gebiet von Kanada gereist. Wir waren dort zu einer Hochzeit eingeladen. Das war ein riesiges Abenteuer, natürlich mit viel Arbeit verbunden, die Kids waren ja alle noch sehr klein.
Was ist typisch für eure Familie? Worauf legt ihr in eurer Familie viel Wert?
Wir machen einfach unser Ding und lassen uns nicht reinreden. Auf Respekt und Ehrlichkeit legen wir sehr viel wert. Wir möchten, dass unsere Kinder alle Leute gleich behandeln, egal wie sie sind, welche Hautfarbe sie haben oder welche Sprache sie sprechen.
Sehr typisch für uns ist auch, dass wir beim Autofahren Globi oder ähnliches hören und dabei alle lauthals mitsingen und klatschen.
Wie würdet ihr Elions Charakter beschreiben?
Manchmal ist Elion voll der Draufgänger und wild beim Spielen, manchmal ist er ganz ruhig und vertieft in seine Bilderbücher. Er ist sehr sozial und daran interessiert, dass es allen gut geht. Elion tröstet gerne, manchmal mag er es aber auch, andere zu ärgern. Besonders gerne klettert er überall rauf, spielt mit seinem Ball oder „choselt“ (spielt mit Wasser). Gerne hilft er auch in der Küche beim Essen zubereiten, beim Tumbler ein- oder die Waschmaschine ausräumen mit. Draussen streichelt er gerne Hunde, Katzen, Chälbli oder Ziegen und schaut den Traktoren und Helikoptern nach.
Hingegen mag Elion es nicht, wenn gestritten oder geschrien wird. Da fängt er oft an zu weinen. Auch Gemüse und den Rasenmäher mag er nicht besonders gern. Kurz gesagt, er ist ein ganz normaler kleiner Junge!
Wie ist das Verhältnis von Elion zu seinen Geschwistern?
Elion liebt seine Schwestern sehr, das merken wir. Er knuddelt sie immer vor dem Schlafengehen und verteilt Küsse. Sie haben ein sehr gutes Verhältnis, auch wenn die Mädchen den kleinen Brüetsch beim Spielen nicht immer dabei haben wollen (Elion eifert den beiden nach und will am liebsten immer mit von der Partie sein). Es gibt immer wieder wunderschöne Geschwistermomente – wie in anderen Familien auch!
Welches sind eure schönsten und lustigsten Erlebnisse mit Elion?
Manchmal lacht Elion so herzlich ab etwas Lustigem. Er platzt dann fast vor Lachen und steckt uns alle an. Dann gibt es ein nicht mehr zu stoppendes Gelächter.
Wenn er sich über etwas freut oder jemanden sieht über den er sich freut, strahlt er und lacht als gäbe es kein Morgen. Seine Lebensfreude ist wahnsinnig ansteckend.
Welche schwierigen Situationen habt ihr mit Elion erlebt?
Als wir im Tessin in den Ferien waren im Frühling dieses Jahres hat jemand Elion „behindert“ genannt. Auch wenn Trisomie 21 eine Behinderung ist, finden wir nicht, dass man ihn „behindert“ nennen sollte. Elion nimmt ganz normal am Leben teil. Er lacht, weint, tröstet seine Schwestern, lernt gerade das Laufen, liest Bücher, wirft Bälle wie ein Handballspieler, fährt Bobby-Car. Woran wird er also konkret behindert? Diese Situation machte uns traurig.
Hattet ihr vor der Geburt von Elion schon Kontakt zu Menschen mit Down-Syndrom?
Wir haben beide eine Cousine mit Down-Syndrom zu denen wir aber nicht häufigen Kontakt hatten.
Als Claudia mit Elion schwanger war, haben wir eine Familie mit einem Kind mit Down-Syndrom aus Thun gefunden, die wir besuchen durften. Auch sie sind heute ein Teil des Familiennetzwerkes von hope 21 (www.hope21.ch/bern-4). Damals waren sie einfach unsere HopeFamily. Der kleine Junge mit dem Zusatzchromosom war damals sechs Jahre alt. Bei unserem ersten Besuch hat er sich beim Schuhe ausziehen auf Claudias Schoss gesetzt. Und ist einfach geblieben. Wir sind uns ganz sicher, dass er gemerkt hat, wieviel Angst Claudia hatte. Von dem Moment an wussten wir, dass alles gut werden würde und dass Elion ein Geschenk ist, welches unsere Familie perfekt macht. Der regelmässige Kontakt mit der Familie in der Schwangerschaft hat uns enorm geholfen. Sie waren unsere Therapie. Wenn es uns schlecht ging und wir traurig waren, waren sie es, die uns neuen Mut machten.
Wie hat sich euer Leben verändert, seit Elion bei euch ist?
Wir finden, dass sich unser Leben gar nicht so gross verändert hat. Einmal jährlich müssen wir mit ihm zur Herzkontrolle und zweimal jährlich zum Ohren- und zum Augenarzt. Ab und zu kommt noch ein Besuch beim Optiker hinzu, wenn seine Brille mal wieder kaputt ist. Einmal die Woche kommt die Früherziehung zu Elion. Sie spielt mit ihm, fordert ihn motorisch und auch kognitiv heraus. Das finden wir super.
Elion hat sicher in vielerlei Hinsicht unsere Sicht aufs Leben verändert und dafür werden wir ihm immer dankbar sein. Claudia war ein paar Tage mit Elion für einen operativen Eingriff im Inselspital. Im gleichen Zimmer lag ein anderer Junge mit einer schwereren Behinderung. Früher hätten wir nicht gewusst, wie wir einem solchen Kind begegnen sollen. Dank Elion konnten wir ohne Berührungsängste auf den Jungen zugehen und mit ihm spielen. Der Verlust dieser Scheu ist für uns ein grosser Gewinn.
Wie und wann habt ihr vom Down-Syndrom bei Elion erfahren?
In der 12. Schwangerschaftswoche wurde eine verdickte Nackenfalte festgestellt, weshalb wir für weitere Untersuchungen nach Bern mussten. Wir haben eine NIPD (nicht-invasive Pränataldiagnostik) gemacht. Einen Tag nach Eminas drittem Geburtstag rief die Ärztin aus Bern an und teilte Claudia mit, dass unser Kind zu 99 % mit dem Down-Syndrom zur Welt kommen würde. Die Ärztin wollte gleich einen Termin für die Fruchtwasseruntersuchung vereinbaren. Aufgrund der Risiken für das ungeborene Kind haben wir dies aber abgelehnt. Wir waren uns sicher, dass wir unseren Jungen ganz genau so lieben werden wie er ist.
Claudia: Ich hatte Angst, die Diagnose Patrick mitzuteilen, hatte Angst, dass er sagen würde, dass er das Kind nicht wolle und wir uns dann trennen würden. Wir redeten, weinten und dann sagte ich, dass ich traurig sei, weil wir nie wieder werden reisen können. Patrick schaute mich an, hielt mich fest und meinte: Warum sollten wir denn das nicht mehr können? Wir werden die Welt genau so bereisen wie wir es lieben, aber jetzt mit drei Kindern. Und dann wusste ich, dass alles gut wird!
Was waren eure Ängste nach der Diagnose? Haben sich diese bewahrheitet?
Wir hatten so viele Ängste. Angst, was aus Elion als junger Erwachsener werden würde. Angst, dass Kinder ihn auf dem Spielplatz auslachen. Angst, dass Leute über uns reden. Auch Ängste, die man gar nicht so richtig benennen kann.
Im Umgang mit den Ängsten haben wir uns gegenseitig geholfen. Wenn jemand von uns traurig war, hat die andere Person getröstet. Neben unserer HopeFamily aus Thun hatten wir noch Kontakt zu einer Familie aus Dortmund. Die Mutter dieser Familie mit zwei Mädchen, von denen das Kleinere das Extrachromosom hat, ist Reisebloggerin. Dieser Austausch half uns insbesondere in Bezug auf unsere Ängste, was das Reisen anbelangte. Heute sind wir gute Freunde und nächsten Monat kommen sie uns sogar besuchen. Unsere Frauenärztin und Beleghebamme (welche uns schon bei den Mädchen begleiteten) waren jederzeit lebensbejahend, gefühlvoll und verständnisvoll an unserer Seite. Auch dies half uns enorm.
Der Mensch, der uns unsere Angst aber am meisten nehmen konnte, war Elion selbst. Nach seiner Geburt wurde alles leichter. Er zeigt uns jeden Tag, was für ein Glück wir mit ihm haben.
Mittlerweile können wir sagen, dass sich unsere Ängste nicht bewahrheitet haben. Wir fürchten uns auch nicht mehr vor Elions Zukunft. Nun kennen wir unseren Sohn seit zwei Jahren und wissen, dass er alles kann, was er möchte. Wir sind uns ganz sicher, dass er seinen Weg gehen und aufgrund seiner lustigen, ehrlichen und empathischen Art viele Freunde haben wird.
Warum engagiert ihr euch für hope21? Was erhofft ihr euch von eurem Engagement?
Unserer persönlichen Meinung nach ist es falsch, dass wir Menschen uns das Recht nehmen, über Leben und Tod zu entscheiden. Aber wir verstehen die Ängste, die man hat, wenn man die Diagnose Down-Syndrom für sein Kind erhält aus eigener Erfahrung. Ganz ehrlich gesagt, haben wir in dem Moment, als wir die Diagnose erhielten gedacht, dass die glücklichen Tage unseres Lebens nun vorbei sind und wir vermutlich nie mehr lachen können. Aber wir lachen immer noch. Wahrscheinlich viel mehr als vorher, weil Elion schon ein ziemlicher Clown sein kann, wenn er sich zum Beispiel verkleidet oder beim Grosi zu Hause alle Schuhe aus ihrem Schuhregal in unsere Reisetasche einpackt.
Wir möchten anderen Familien helfen und ihnen die Ängste nehmen, indem wir ihnen zeigen, wie normal unsere Familie ist. Wir möchten ihnen alle Gründe aufzeigen, warum sie sich auf ihr Kind freuen dürfen! Wir verstehen die Gedanken und Ängste, aber wir wissen auch, dass sie sich in Luft auflösen werden. Und wenn damit diese schrecklich hohe Abtreibungsrate verringert wird, dann haben wir alle gewonnen!