Schulische Inklusion im Kindergarten Burgdorf

31. August 2023

Ein Weg zur «guten Schule für alle»

Schulische Inklusion soll in der Schweiz zu mehr Chancengerechtigkeit in Bildung und Gesellschaft beitragen.

 

In Sachen Schulbildung gibt es in der Schweiz zahlreiche Unterschiede zwischen den Kantonen. So verfügt der Kanton Bern über viele Sonderschulen, die über eine gute Infrastruktur, kleine Klassen mit Praktikantinnen und Praktikanten sowie Assistenzen verfügen. Dabei wird aber auch sichtbar, dass die Regelschule wenig Erfahrung mit der Integration von Kindern mit Trisomie21 in Regelklassen hat.

Dies hat auch traditionelle Gründe: Im Kanton Bern waren die heilpädagogischen Schulen bis Ende 2021 noch der Gesundheits- und Fürsorgedirektion und die Volksschulen der Erziehungsdirektion (vormalig ERZ, neu BKD: Bildungs- und Kulturdirektion) unterstellt. Seit dem 1.1.2022 wurde diese veraltete Organisationsstruktur mit einer Revision des Volksschulgesetzes, genannt REVOS 2020, angepasst. Das Angebot der Sonderschulbildung wird in die Volksschule integriert und ist somit (endlich!) Teil der Volksschule.

Situation im Kindergarten von Aliyah

Aliyah besucht seit Sommer 2022 das erste Kindergartenjahr im regulären Kindergarten Lindenfeld in

Burgdorf. Sie besucht den Kindergarten an drei Halbtagen pro Woche. In der unterrichtsfreien Zeit besucht sie die Logopädie und die Hippotherapie. Ab August 2023 besucht sie den Unterricht an vier Halbtagen.
Kinder im besonderen Volksschulbereich, die integrativ geschult werden, dürfen in einem reduzierten Pensum die Schule besuchen. Das erleichtert den Stundenplan und die Koordination mit den verschiedenen Therapien.
Etwa zwanzig 4- 7-jährige Kinder werden in der Kindergartenklasse jahrgangsgemischt unterrichtet. Zwei Kindergarten-Lehrpersonen führen zusammen die Klasse. Unterstützt werden die beiden durch eine Heilpädagogin, eine Klassenhilfe und eine DAZ-Lehrperson. Die Zusammenarbeit zwischen Förder- und Regellehrpersonen ist ein zentrales Gestaltungsmerkmal im inklusiven Unterricht und ist mit dem aktuellen Fachkräftemangel ein Punkt, der den inklusiven Unterricht erschweren kann.

Ein Morgen im Kindergarten mit Aliyah

Zwischen 08.10 Uhr und 08.20 Uhr kommen die Kinder nacheinander oder auch miteinander in den Kindergarten. Aliyah wird entweder von ihrer Mutter oder ihrem Vater und ihrem kleinen Bruder zum Kindergarten begleitet. Die Tür öffnet sich und Aliyah kommt lachend in die Garderobe. Sie begrüsst sofort die anwesenden Lehrpersonen und sitzt an ihren Garderobenplatz. Eine Lehrperson hilft Aliyah beim Umziehen. Anschliessend geht sie wie alle anderen Kinder ihre Hände waschen und kommt in den Kindergartenraum.

Bis 09.00 Uhr sind die Kinder im Freispiel. Das heisst, sie wählen selber aus, wo und mit wem sie spielen möchten. Auch darf der Spielort gewechselt werden – einzige Regel ist das Aufräumen vor dem Verlassen des Spielortes. Aliyahs liebste Spielorte sind die Familienecke, der Sessel zum Bücher anschauen und die Bewegungsecke. Aliyah sucht noch wenig Kontakt zu den anderen Kindern. Sie spielt meistens für sich und schaut ab und zu auch den anderen beim Spielen zu. Das darf sein, denn alles hat seine Zeit. Manchmal will sie, dass eine Lehrperson mit ihr ein Buch anschaut oder auch sonst mit ihr spielt. Das teilt sie mit Gesten, Blicken, einzelnen Worten mit. Das Kommunizieren ist nicht ganz einfach, es ist ein Herausfinden und Ausprobieren, was Aliyah wohl meint. Da wir sie aber bald schon ein Jahr kennen, gelingt es uns etwas besser – teilweise ist es aber sicher für Aliyah auch frustrierend, wenn wir sie nicht verstehen. Aliyah kann Wörter sprechen, doch setzt sie sie im Kindergarten noch nicht zur Kommunikation ein. So werden unterstützte Kommunikation mit Piktogrammen und Gebärden im Unterricht einbezogen. Wenn eine Lehrperson mit Aliyah spielt, kommen teilweise auch andere Kinder dazu. So entstehen kurze Momente, in denen ein gemeinsamer Austausch stattfindet.

Um 09.00 Uhr ertönt die Musik – es ist Zeit zum Aufräumen und Aliyah hilft beim Aufräumen mit.

Das klappt bereits viel besser als zu Beginn des Schuljahres. Auf den Stühlen im Kreis sind die von den Eltern bemalten Stein, die Kinder erkennen ihren Stein anhand ihres Bildes oder ihres Namens. Aliyah kennt ihren Stein gut, setzt sich auf den Stuhl und legt den Stein unter ihren Stuhl. Gemeinsam wird das Morgenlied gesungen und anschliessend geschaut, wer alles da ist, es wird das Wetter und der aktuelle Wochentag thematisiert. Aliyah liebt das gemeinsame Singen und Tanzen, einfach alles, was mit Bewegung zu tun hat. Da macht sie freudig mit und ist ein aktiver Teil der Gruppe.

Die Sequenz im Kreis wird zum aktuellen Thema gestaltet. Wir üben das Zuhören, das gemeinsame Erarbeiten von Lerninhalten und die Gemeinschaft. Aliyah macht so lange mit, wie sie Ausdauer hat. Wenn sie müde ist, geht sie auf den Büchersessel, der hinter dem Stuhlkreis steht. Dort kann sie für sich Bücher anschauen, und wenn sie mag, von ausserhalb dem Kreisgeschehen folgen. Bei Aufträgen, die die Kinder individuell oder in Kleingruppen bearbeiten, versuchen wir, Aliyah wieder dazu zu holen. Danach ist Znünizeit. Alle Kinder gehen die Hände waschen und holen ihren Rucksack/Znünitäschli in den Kreis. Nach dem Znünilied helfen wir Aliyah den Rucksack zu öffnen und wir essen gemeinsam das Znüni. Danach spielen die Kinder draussen auf dem

Spielplatz. Eine Lehrperson hilft Aliyah wieder beim Umziehen. Draussen spielt sie gerne auf dem Drehturm, der Schaukel und der Hängematte. Da sind auch andere Kinder dabei. Seit einiger Zeit klettert sie alleine auf den Spielturm und überquert die erste Hängebrücke. Für die zweite Brücke benötigt sie noch eine helfende Hand einer Lehrperson. Anschliessend rutscht sie die Rutschbahn hinunter und es geht von vorne los.

Um 11.00 Uhr klingeln wir mit der Glocke. Es heisst erneut aufräumen und zurück in den Kindergarten. Gerne würde sie nun noch etwas länger draussen spielen. Zu Beginn des Kindergartenjahres brauchte es dann eine grosse Überredungskunst bis sie auch wieder im Kindergarten war. Dies klappt nun aber viel besser. Umziehen, Hände waschen und entweder noch einmal ins Freispiel oder in den Kreis. Je nach Thema der zweiten Kreissequenz arbeitet die Heilpädagogin separat mit Aliyah oder sie ist wie alle anderen Kinder auch im Kreis. Um 11.45 Uhr singen wir im Kreis gemeinsam das Adieulied, die Kinder legen ihren Stein in eine Kiste und ziehen sich in der Garderobe wieder um. Nun heisst es noch, sich zu verabschieden und danach geht Aliyah nach draussen zu ihrer Mutter oder ihrem Vater und ihrem Bruder.

Aliyah ist ein Teil der Kindergruppe und gehört ganz einfach dazu. Die meisten Kinder helfen ihr gerne und sind interessiert. Es spielt für die anderen Kinder keine Rolle, ob Aliyah mitmacht oder auf ihrem Sessel sitzt. Auch sind die Kinder sehr geduldig, wenn Aliyah etwas mehr Zeit benötigt als sie. Jedes Kind hat seine Stärken und Schwächen, jedes hat seinen Platz im Kindergarten und macht individuelle Fortschritte. Einige benötigen dazu etwas mehr Unterstützung und Zeit als andere. Damit es möglich ist, die Kinder bestmöglich zu unterstützen, ist es unabdingbar, dass immer zwei Lehrpersonen anwesend sind.

Autorinnen: Regula Jakob, Andrea Leuenberger, Monika Siegenthaler; Kindergartenlehrerinnen Burgdorf

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